Zuletzt geändert: Do, 16.11.2006

«K12/K13» Gewissen «PDF», «POD»




0.0.1 [Gewissen (B. S. 51ff.)]

  • [Entsteht schlechtes Gewissen durch Nachdenken über vergangene Situationen auf einem langweiligen Nachhauseweg?

    Nein, vielmehr überfällt es uns plötzlich/unerwartet.

  • Schlechtes Gewissen kann zu Selbstzweifeln über das jeweilige Problem hinaus führen ("auch gestern hab' ich schon so Zeug gemacht..." → "ich bin ein schlechter Mensch").

    Schlechtes Gewissen → tieferes Grübeln → "Mist, letzte Woche hab' ich schonmal so was gemacht" → noch schlechteres Gewissen etc.

  • Gewissen hat zusätzlich zur nachträglichen Wirkung auch eine warnende Funktion.

  • Möglich, dass ein Problem, von dem ein schlechtes Gewissen herrührt, von den Betroffenden gar nicht als ein schlimm eingestuft wird ("hab' gar nicht gehört, dass du über mein Kleid gelästert hast", "egal, hattest ja Recht").]

[Männer wollen am Telefon Sachverhalte klären ("wann treffen wir uns? – 18:30? – ok"). Frauen wollen verstanden werden.]

"[Die VHS] ist schon wichtig..."

["Die philosophische Hintertreppe" von Wilhelm Weischedel]

0.0.1.1 [Wesensmerkmale des Gewissens
  • Gewissenserfahrung ist ein innerliches Geschehen; nur ich selbst höre die Stimme meines Gewissens.

  • Gewissenserfahrungen machen betroffen.

  • Das Gewissen rührt sich plötzlich; die Stimme des Gewissens ist ein Anruf, der Gewissensanruf "überfällt" den Menschen.

  • Gewissenserfahrungen führen in eine Unruhe; der vom Gewissen betroffene leidet unter diesem.

  • Wer sein Gewissen erforscht, überträgt sein Tun auf dessen Mangelhaftigkeit hin. (Übetragung des schlechten Gewissens bezüglich einer bestimmten Handlung auf den gesamten Menschen; Mangelhaftigkeitsgefühl)

  • Der Gewissensanruf verweist auf die eigenen Frei­heits­mög­lich­kei­ten (man hätte anders handeln können).]

0.0.1.2 [Fragenkomplexe der Gewissenserforschung (B. S. 51)
  • Autonome vs. heteronome Steuerung (von Gott, der Gesellschaft etc.)

    ← Ist man selbst Herr seines Gewissens?

  • Angeborenes vs. anerzogenes Gewissen

  • Statisches vs. dynamisches Gewissen/Bewusstseinsprozess

  • Theonomes (Stimme Gottes), autonomes (Stimme des Selbst) vs. alteronomes Gewissen (Stimme anderer Menschen)

  • Ort der Gottesbegegnung? Meldet sich Gott (der Heilige Geist)? (Voraussetzung dafür ist natürlich eine theonome Gewissensauffassung.)

  • Individual- vs Kollektivgewissen

    Kollektivgewissen als Vorgabe/beeinflussender Faktor der Individualgewissen?

  • Gewissensautonomie durch Überwindung des heteronomen Gewissens? Ist Gewissensautonomie wünschenswert?

  • Gewissensfreiheit als Grundwert einklagbar? – Ja, in Deutschland.]

0.0.1.3 Verschiedene Verständnisse des Gewissens
0.0.1.3.1 Jean-Jacque Rousseau (französischer Philosoph; 1712–78)
  • [Gewissen als unfehlbarer göttlicher Instikt, als Gottes Stimme, als Ort der Gottesbegegnung

  • Während die Vernunft uns manchmal täuscht (Unwissenheit, Eingeschränktheit des Menschen), tut das Gewissen das nicht.

    → Gewissen als wahrer Leiter des Menschen

  • Körper : Instinkte :: Seele : Gewissen

    (Der Vergleich hinkt evtl., da Instinkte ja, im Gegensatz zum göttlichen Instinkt, fehlbar (im Sinne von mit der Kultur kollidierend) sind. Andererseits: Gibt es ein praktisches Beispiel, wo Instinkte wirklich irgendwie total würr sind? Nein...)

  • Gewissen als angeborenes Prinzip]

0.0.1.3.2 Immanuel Kant (deutscher Philosoph; 1742–1804)
  • [Gewissen als innerer, persönlicher/autonomer Gerichtshof

  • Gewissen als Ort, an dem sich der kategorische Imperativ meldet.

  • Es ist nur eine Betäubung möglich (bspw. durch Drogen), aber keine vollständige Ausschaltung; die Stimme des Gewissens hören wir immer, auch dann, wenn wir uns um sie nicht kümmern.]

0.0.1.3.3 Friedrich Nietzsche (deutscher Philosoph; 1844–1900)
  • [Gewissen als negatives Produkt der unterdrückten Triebe →

  • Gewissen ist immer etwas schlechtes.

  • Faszination des Übermenschen; man will groß und mächtig etc. sein, aber das Gewissen verbietet es einem; es steht einem im Weg.]

0.0.1.3.4 Sigmund Freud (österreichischer Psychoanalytiker; [1856–1939])
  • [Durch frühkindliche Erfahrung entwickelte Funktion des Über-Ichs

  • Nicht im Unterricht erwähnt, aber auf dem Zettel: Gewissen = soziale Angst etc. vor Liebesentzug; zuerst vor dem Entdecktwerden durch Autoritäten, später vor dem Über-Ich.]

[Welches Gewissensverständnis setzt der Gesetzgeber voraus? – Kant. Bei der Kriegsdienstverweigerung legt man dann seinen innerern Gerichtshof dar.]

[Abhilfe gegen ein schlechtes Gewissen nur durch Verzeihung desjenigen, von dem man annimt, ihn verletzt zu haben.]

0.0.1.4 Die Lehre vom Gewissen im Mittelalter

Man unterschied:

a)

synderesis: Natürliche Veranlagung, das Gute irrtumsfrei zu erkennen [ähnlich wie Rousseau]

["Mensch ist Sünder → er handelt ständig falsch → er kann das Gute nicht erkennen" ← obwohl evtl. Logikfehler in dieser Aussage, ist sie evtl. nicht ganz falsch.]

[Ablehnung natürlicher Theologie durch Luther: Man kann allenfalls erkennen, dass es einen Gott gibt; nicht aber, wie er ist. Stattdessen daher Berufung auf die Offenbarung]

[Der Mensch kann laut Luther das Gute nicht irrtumsfrei erkennen, es sei denn, Gott zeigt es ihm. Solange kein Urteil von Gott, XXX]

[Luther lehnt also synderesis ab, da es nach ihm das irrtumsfreie Erkennen des Guten nicht gibt.]

b)

conscientia: Subjektiver Gewissensspruch [XXX], der den Einzelnen unbedingt bindet [ähnlich wie Kant (weil 1. innerer Gerichtshof und 2. Bindung; das wird ja sogar vom Staat geachtet)]

[Beispiele: "Mein Gewissen zwingt mich, rassistisch gegen Tür­ken zu sein." (oder, autobiografisch bei Luther: "Mein Gewissen zwingt mich, mich zu geißeln" bzw. später: "Mein Gewissen zwingt mich, die Thesen nicht zu widerrufen")

[conscientia irrt laut Luther dann, wenn es nicht konform zur Heiligen Schrift ist. (In diesem Fall ist das Gewissen ein irrendes Gewissen.) Wenn conscientia nicht an die Heilige Schrift gebunden ist, kann sie irren (muss aber nicht notwendigerweise). Luther lehnt daher conscientia ab.]

[Was ist mit den Menschen, die vor der Bibel lebten? – (Keine spontante Antwort.)]

[articulus stantis et cadentis ecclesiae (Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt): Rechtfertigungslehre; siehe weiter unten]

0.0.1.5 Das befreite Gewissen bei Martin Luther

[Luthers Gewissensverständnis (B. S. 56):

  • Pro Gewissensfreiheit

  • Widerspruch zu Papst/Konzilien, da sich diese schon öfter geirrt und widersprochen haben

  • Handeln gegen das Gewissen weder sicher noch heilsam

  • (Vogelfreiheit im Zuge des Reichstags zu Worms, Begründung: Würde Luther richtig liegen, würde das ja bedeuten, dass sich die Kirche all die Jahre zuvor geirrt hat (→ Beachtung der Tradition); synderesis-Lehre (es kann nicht sein, dass siche alle geirrt haben). Im Gegensatz dazu Luthers Gewissen, capta conscientia in verbis dei)]

  • Gewissen nicht Stimme Gottes und auch keine Fähigkeit, stattdessen XXX

  • Das anklagende Gewissen ist nur ein Teil, es gibt auch den befreienden Gewissensspruch; das Gewissen ist daher ein großes Geschenk.

    Gott hat Jesus fallen lassen, damit wir ein gutes Gewissen haben.

  • Gewissheit des Gewissens (XXX?) basiert auf dem Vertrauen auf die Zusage Gottes.]

"Christentum ist eh doof... ich bin Yogiflieger"

[Problem: Evtl. Konflikte mit biblischen Normen (beispielsweise bei der Trennung vom misshandelnden Mann)

  • Die letzte Norm ist immer das Doppelgebot der Liebe.

  • → Man kann mit gutem, getrösteten Gewissen sich vom Mann trennen/ein Hitlerattentat verüben.

  • (Ist dann alles erlaubt? – Natürlich nicht.)]

[Wo wird Luthers Biografie in seinem Gewissensverständnis deutlich? – Beispielsweise bei seinem Leben im Kloster, wo er (fälsch­li­cher­wei­se, sagen wir jetzt natürlich) meinte, mit dem Tuen guter Dinge (Bibel lesen etc.) Gott zufriedenstellen zu können. Später hat Luther ja sogar sein Bibellesen etc. in einen Teufelsbezug gesetzt.]

[Wie kann man ein befreiendes Gewissen erlangen? – Aus der Zusprechung der Liebe Gottes.]

["Wie bekommt man einen gnädigen Gott?" – Diese Frage ist a priori Käse, XXX]

[BTW: Thesenanschlag 1517; Reformator = Zurückformer; Luther hat das AT aus dem Hebräischen und das NT aus dem Griechischen übersetzt.]

"denn sonst wird dein lieber Klasslehrer gescholten, von der Obrigkeit"

"jetzt hast du leider nur französisch gelernt... also »nur« natürlich in Anführungszeichen..."

[Theonomes Gewissen; das Gewissen ist der (einzige) Ort im Menschen, an dem Gottes Wort auftrifft; und zwar als Gesetz und/oder als Evangelium.]

  •                  treibt den Menschen in

  •         +--------------------------------------+

  •         |      die liebenden Arme Gottes       |  |  |    /

  •         |                                      v  |  |   /

  •  +-------------+                       +---------------+

  •  |"Gesetz"     |                       |"Evangelium"   |

  •  |Du sollst... |                    -- |Gott liebt den |

  •  |[Imperativ]  |                       |Sünder allein  |

  •  +-------------+                    -- |aus Gnade!     |

  •         ^                              +---------------+

  •         |                                      |  |  |  \

  •         |         bindet den von Gott          |  |  |   \

  •         +--------------------------------------+

  •                    geliebten Sünder

[Bei uns bedeutet Evangelium die frohe Botschaft (dass Gottes Gnade uns allen zukommt, obwohl wir Sünder sind); aber nicht alles, was in den Evangelien drin steht, macht froh. Das wäre römisches Verständnis.]

[Das Evangelium soll leuchten (vergleichbar laut Egon wie ein Leuchturm, der den Weg zeigt), das Evangelium soll mächtig sein. Wenn stattdessen das Gesetz leuchtet, doof.]

[Zirkel:

  • Man soll das Gesetz befolgen, kann es aber nicht.

    (Nach röm.-kath. Verständnis dagegen ist es durchaus möglich das Gesetz zu befolgen, wenn man sich Mühe gibt.)

  • Man wird in die liebenden Arme Gottes getrieben.

  • Man empfängt und erfährt Liebe.

  • Man will liebevoll Antwort geben. (Man will einfach nicht das Gesetz brechen, weil man geliebt wird. Vgl. Fremdgehen in Partnerschaften.)

  • Man versucht das Gesetz zu befolgen, scheitert aber.]

→ Im Gewissen entscheidet sich, wie es um den Menschen steht: Vernimmt er die frei machende Liebe Gottes oder nicht?

[Entweder "das Gesetz" oder "die Gebote", aber nicht "die Gesetze".]

[Daran entscheidet sich alles. Beispiel: Hätte Bonnhöfer nur das Gesetz gesehen, hätte er sich nicht am Hitlerattentat beteiligen können. Die Konsequenz, mehr Mord an Juden etc. durch Hitler, hätte ihm ein noch schlechteres Gewissen gegeben, usw.]

[Wenn man das Evangelium vernimmt, hat man ein befreites Gewissen. Man ist frei, das zu tun, was man will; aber halt nicht Willkür etc.]

[Die Freiheit des Gewissens folgt bei Luther aus der Bindung des Gewissens an Gott. Voraussetzung ist dabei das Gottesbild des gnädigen Gottes, der auch den Sünder liebt. → Entlassung in die Freiheit. (Beispiel: Befreites Gewissen Bonnhöfers beim Hit­ler­at­ten­tat)]

[Bei Kant dagegen bedeutet Gewissensfreiheit die Freiheit, sein Gewissen auszuleben, die sogar vom Staat zugestanden wird.]

[Nicht Willkür ist Folge der Gewissensfreiheit, sondern Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes.]

[Funktionen des Gesetzes:

  • Das Gesetz treibt den Menschen in die liebenden Arme Gottes, weil man die Gebote ja nicht erfüllen kann.

  • Das Gesetz ist das Antwortverhalten auf Gottes Liebe.

  • Das Gesetz dient der/unterstützt die Aufrechterhaltung menschlichen Zusammenlebens/staatlicher Ordnung.

  • Außerdem, nach röm.-kath. Verständnis: Ein schlechtes Gewissen ist gut/praktisch/nützlich, da es ein Richtungsgeber im Wandel der Zeit ist.]

[Ist das Gewissen Richter, Staatsanwalt oder Verteidiger?

  • Staatsanwalt am wenigsten.

  • Dass das Gewissen Richter ist, kann man damit begründen, dass das Leben gerichtet, richtig gestellt wird.

  • Verteidiger ist das Gewissen in dem Sinne, dass das Evangelium immer leuchten soll.]

[Problem der irdischen Erdung von Luthers Gewissensverständnis ("Maiksche Frage"):

  • Laut Luther erreicht man ein gutes Gewissen durch den Freispruch durch Gott.

  • De facto kann aber die Freundin, die man beleidigt hatte, sauer sein! Dass man den Freispruch von Gott erhalten hat, bedeutet nicht, dass man auch den Freispruch durch die Freundin zugesprochen bekommt.]

"ich rede also in Rätseln..."

[Rechtfertigungslehre:

  • Röm.-kath. Verständnis: Gute Taten und Gnade Gottes notwendig

  • Lutherisches Verständnis: Gottes Gnade und Glaube notwendig; dabei gilt die Gnade Gottes allen Menschen.

    Wenn der Glaube fehlt, "weiß man halt nicht um sein Glück".

  • "Man ist Gott recht." bzw. "Ist man Gott recht? Was muss man tun, um Gott recht zu sein?"

  • Ist die Rechtfertigungslehre auch heute noch wichtig? – Ja, eventuell sogar wichtiger denn je.

    Beispiele: Arbeitsloser, Schüler ohne Abi

    Obwohl die Gesellschaft eine schlechte Meinung von Arbeitslosen hat ("der arbeitet nicht, der ist faul"), sind sie Gott recht. Zu Arbeitslosen zu sagen, "du bist recht! Auch ohne, dass du gute Taten vollbringst, liebt dich Gott!", kann eine (große) Hilfe sein.

    Die Rechtfertigungslehre könnte diese Haltung der Ge­sell­schaft eventuell ändern.